Einführung
in
den
16.
Internationalen Sicherheitspolitischen Kongress
Von Brigadegeneral a.D.
Wolfgang Kopp
Landesvorsitzender der
GfW in Baden-Württemberg
Es gilt das gesprochene
Wort!
Auch
seitens der GfW darf ich Sie alle sehr herzlich begrüßen
und für Ihr Interesse danken.
Die politischen
Entscheidungen des Jahres 2009 sind gefallen, wir alle
kennen sie.
Die Herausforderungen
sind enorm.
Ich beschränke mich aber
mit Blick auf den Kongress auf die Sicherheitspolitik.
Die von uns in
vergangenen Kongressen herausgearbeiteten
Herausforderungen bestehen noch immer. Die Frage stellt
sich, ob sie durch die in 2009 erfolgten Veränderungen
anders angegangen werden.
Ich erinnere an die
Themen
innere Sicherheit
vernetzte Sicherheit
und Auslandseinsätze in
Verbindung mit der Transformation der Bundeswehr
In der Inneren Sicherheit
oder, wie sie auch genannt wird, beim Schutz
Deutschlands und seiner Bürger, wurde zwar im
Hintergrund manches auf den Weg gebracht, vor allem auch
in der Bundeswehr selbst, aber eine breite Diskussion
möglicher Probleme oder Gefahren fehlt noch immer.
Jeder Experte weiß um die
Bedrohung, der einfache Bürger ahnt sie, aber von
Vorsorge hören wir so gut wie nichts. Die Öffentlichkeit
wird im Unklaren gelassen, wohl auch deshalb, weil es um
die Vorsorge nicht allzu gut bestellt ist.
Dies gilt für wenig
eingeübte Verfahren der Zusammenarbeit ebenso, wie für
fehlende Kräfte.
Und das sage ich nicht
mit Blick auf die ZMZ - Anstrengungen der Bundeswehr,
sondern mit Blick auf die Zuständigkeit der Länder.
Nach dem Abbau in den
90er Jahren müsste viel Geld für ausreichende Vorsorge
aufgewendet werden, um wieder auf Stand zu kommen. Wir
stoßen auf breites politisches Schweigen bei diesem
innenpolitischen Thema und müssen befürchten, dass es um
diese Vorsorge ähnlich bestellt ist, wie um die Vorsorge
bei der jüngsten Impfaktion.
Auch das ist aber
Sicherheitspolitik. Auch das ist eine permanente
Herausforderung.
Vom offenen Feld des
Einsatzes der Bundeswehr über Art. 35 GG hinaus, etwa
zum Objektschutz an für die Bevölkerung lebenswichtigen
Objekten (Wasserwerke, Energie usw.) will ich erst gar
nicht reden. Aber auch darüber sollte man vorsorglich
nachdenken.
Vernetzte Sicherheit ist
ein weiteres Feld der Herausforderungen.
Vernetzte Sicherheit ist
aber eine Wortschöpfung, die sich keinesfalls selbst
erklärt, aber auch nicht erklärt wird – begrifflicher
Nebel!
Es ist einmal die
Vernetzung von Innerer und Äußerer Sicherheit, die nach
politischer Bekundung nicht mehr getrennt werden können.
Gemeint ist aber vor
allem die strategische Bündelung der Maßnahmen
zuständiger Bundesministerien in den Einsatzländern.
Hier steht Afghanistan im Mittelpunkt des Interesses.
AA, BMVg, BMI und BMZ haben sich auf ein gemeinsames
Vorgehen verständigt.
Aber man gewinnt den
Eindruck, dass selbst die beteiligten Ministerien nicht
alles verstanden haben, wenn man die Ergebnisse und die
Zusammenarbeit am Boden vor Ort betrachtet.
Und man konnte sich des
Eindrucks ideologischer Vorbehalte in einzelnen Häusern
gegen die Zusammenarbeit mit der Bundeswehr nicht
erwehren. Dieser Vorbehalt trifft im Übrigen auf sehr
viele NRO auch zu.
Diese Reibungen oben,
wirken sich aber auch vor Ort aus. Das wissen die im
Einsatzland Tätigen am besten.
Wir werden sehen, wie die
neuen Mannschaften im AA und im BMZ mit den
Herausforderungen der Strategie der Vernetzten
Sicherheit zukünftig umgehen und diese richtige
Strategie vor Ort zum Erfolg führen.
Und damit sind wir bei
den laufenden Einsätzen.
In engem Zusammenhang mit
Einsätzen, aber auch mit dem Aufgabenfeld des Schutzes
Deutschlands und seiner Bürger, stehen neue Überlegungen
zur Struktur. Eine Wehrstrukturkommission hat die Arbeit
aufgenommen.
Damit geht die Spirale
der Transformation der Bundeswehr in eine neue
Umdrehung, an deren Ende möglicherweise weniger hohe
Stäbe und mehr Truppe, vielleicht sogar mehr Kampftruppe
stehen? Offenbar gibt es strukturelle Herausforderungen.
Aber nicht nur die
fortlaufende organisatorische Anpassung der Streitkräfte
ist erforderlich, mehr noch bedarf es der Aufmerksamkeit
auf die intellektuelle oder besser geistige Einstellung
der Soldaten, eine Art geistige Rüstung.
Dies gilt aber noch mehr
und ganz besonders für das Umfeld unserer Soldaten und
damit auch für den Rest unserer Gesellschaft.
Afghanistan, das Horn von
Afrika, ja sogar das Kosovo oder auch Bosnien sind weit
weg. Das Interesse an der Sicherheitspolitik oder an
Fragen, geschweige denn an Problemen der Armee ist
relativ gering. Es flackert nur auf, wenn spektakuläre
Ereignisse stattfinden, wie zuletzt der Luftangriff auf
die Tanklastzüge in Afghanistan.
Die Streitkräfte, die
Soldaten und Reservisten haben sich auf die neuen
Herausforderungen und das neue Aufgabenspektrum, wie ich
meine gut eingestellt, weg von den Panzerschlachten der
Vorneverteidigung, hin zum neuen breiten
Aufgabenspektrum heutiger Konflikte (3-block-war), in
dem humanitäre Maßnahmen, der Wiederaufbau, aber auch
der Kampf parallel und räumlich eng nebeneinander
stattfinden können.
Im Umfeld der Soldaten
sind es die Familien, die mitgenommen werden wollen.
Auch sie haben sich entwickelt, weg von gelegentlichen
größeren Übungen im Inland, hin zu längeren
Abwesenheiten der Frauen und Männer in Uniform im
Ausland.
Wobei die große Zahl der
Trennungen nicht unerwähnt bleiben darf.
Ein Ergebnis dieses
Nicht-Mitnehmens ist auch, dass zurückkehrende Soldaten
oder deren Familien ein wenig interessiertes Umfeld
haben, in dem sie ihre Probleme los werden und
Verständnis finden. Sie werden nicht aufgefangen.
Post-Traumata können
nicht mehr so, wie in der Vergangenheit im Umfeld
abgebaut werden, weil die Bindung und das Verständnis in
der Basis Heimat fehlen, und diese Heimat keine Heimat
mehr in diesem Sinne ist, ja gar nicht sein kann. Anders
gesagt, das „Wir-Gefühl“ fehlt – vielleicht generell in
der Gesellschaft, aber sicher hier besonders deutlich.
Die Bundeswehr tut alles
in ihrer Macht stehende mit psychiatrischer Betreuung,
aber was kommt danach?
Trotz allen Bemühungen
ist die Familienbetreuung noch immer eine Großbaustelle,
deren Sanierung dringend vorangetrieben werden muss.
Die Streitkräfte stellen
sich den Herausforderungen durch hochwertige und
fordernde Ausbildung. Die Soldaten stellen sich diesen
Forderungen ernsthafter als früher, stellen aber mit
Erstaunen fest, dass ihr Umfeld dieser Umstellung noch
gar nicht so richtig gefolgt ist und häufig das
Verständnis fehlt.
Das große Problem, die
gesellschaftliche Herausforderung ist, dass die Bindung
zwischen den Soldaten und ihren Angehörigen mit dem Rest
der Gesellschaft anscheinend verloren ging.
Armee im Einsatz –
Gesellschaft im Frieden, ein Missverhältnis? so das
Thema unseres Kongresses vor 2 Jahren, ja, ich glaube
noch immer!
Für die Gesellschaft ist
es das geistige Band, das breite Verständnis, das für
sicherheitspolitische Fragen, für das, was weit weg,
neuhochdeutsch gesagt „abgeht“, fehlt.
Aber das Verständnis wird
auch nicht geweckt. Die Führung von oben, der Eintritt
in die breite gesellschaftliche Diskussion findet nicht
statt. Die Politik nimmt die Gesellschaft in
sicherheitspolitischen Fragen nicht mit, im Gegenteil.
Waren früher, in den
Kriegen des letzten Jahrhunderts, Gesellschaft und
Soldaten eine fast untrennbare Schicksalsgemeinschaft
und galt dies, wenn auch schon in abgeschwächter Form,
für die 35 Jahre der Bundeswehr im Kalten Krieg, die
große Wehrpflichtarmee der Vorneverteidigung, so ist
heute eine Entfremdung, vielleicht sogar ein
Auseinanderklaffen eingetreten.
Das durch die
Reorganisation zwangsläufige Verschwinden der Armee aus
der Fläche und die geringe Zahl eingezogener
Wehrpflichtiger trägen dazu bei.
Hinzu kommt, dass Themen
nicht oder nicht mehr angesprochen werden.
Kosovo und
Bosnien-Herzegowina wurden von der öffentlichen
Bildfläche genommen und werden unter einem Deckel
gehalten, der den Eindruck vermittelt, dass die Probleme
dort gelöst wären, obwohl die Lage dort alles andere als
geklärt ist. Das gilt besonders für das Kosovo. Dort
regiert die Organisierte Kriminalität im Seidenanzug und
mit randloser Brille.
Die Gesellschaft kann und
will aber mitgenommen werden. Wie ansprechbar sie auf
das „Wir-Gefühl“ ist, zeigt der traurige Tod von Robert
Enke.
Der Bedarf zeigt sich
auch in den Diskussionen und Internetforen über die in
Medien abgebildeten Ereignisse, wie gerade über den
Luftangriff. Aber man zieht oben keine Folgerungen, geht
nicht in die Offensive und überlässt die
Sicherheitspolitik viel zu sehr anderen, häufig genug
Ideologen und Demagogen.
Die geistige Mitnahme von
Menschen als selbständig denkende Staatsbürger nennt
sich in der Bundeswehr „Innere Führung“. Eines ihrer
Markenzeichen.
Es wäre an der Zeit ein
Konzept der „Inneren Führung“ auch für die Gesellschaft
zu entwickeln und die mündigen Staatsbürger durch
Information und Diskussion zu selbständigem Mitdenken zu
befähigen.
Führung von vorn ist
angesagt. Das bloße „wir alle stehen hinter ihnen“
reicht nicht aus und hilft nicht weiter, sich davor zu
stellen wäre viel wichtiger.
Wohlverstanden, nicht
Propaganda, sondern eine unserer Demokratie angemessene
Diskussion und Information in der Öffentlichkeit sollte
es sein.
Wie nötig das ist, zeigt
der Eiertanz um die Frage, ob das, was in Afghanistan
stattfindet, nun Krieg ist, oder nicht, oder wie oder
was.
Der damalige Minister
sprach in der Öffentlichkeit davon, dass dies ein
Stabilisierungseinsatz sei. Das war zwar sachlich
richtig, aber keiner hat genau verstanden, was er damit
meinte.
Vielleicht hätte man in
der Öffentlichkeit schon vorher häufiger darüber reden
müssen, dass Stabilisierungskräfte, wie die 10.
Panzerdivision, ein breites Spektrum von Aufgaben haben,
das bei humanitärer Hilfe anfängt, über Trennung von
Konfliktparteien und das in der Ausbildung auch bei
Reservisten so beliebte Thema „Checkpoint“ weitergeht,
aber – und das wird besonders gerne übersehen – beim
Kampf endet, also dass der Kampf Bestandteil des
Stabilisierungseinsatzes ist. Das ist das vorgegebene
Konzept.
Diese Kenntnisse hat Herr
Jung vorausgesetzt, als er vom Stabilisierungseinsatz
sprach. Aber, da er die Öffentlichkeit vorher nicht
mitgenommen hatte, hat er sie mit seiner Aussage auch
nicht erreicht. Und er hat auch seinen Soldaten damit
nicht geholfen.
Denn genau der Kampf in
Afghanistan ist für den Soldaten nach seinem Verständnis
„Krieg“, und diesem gefühlten Krieg muss in der Heimat
im Sinne der Soldaten Rechnung getragen werden.
Der Soldat muss das
Gefühl haben, dass man ihn und seinen schwierigen
Auftrag versteht und ihm nicht das Gefühl vermittelt,
dass sein Kampf und sein Krieg gar nicht verstanden und
eigentlich gar nicht gewollt sind. Damit wertet man
seinen Einsatz, sein Engagement und die Bereitschaft,
sein Leben zu riskieren, ab.
Auch der Umgang mit dem
Oberst Klein zeigt dies. Während die Medien bei jedem
Kleinkriminellen die Bezeichnung „mutmaßlich“ korrekt
zur Anwendung bringen, auch wenn der Einzelfall noch so
klar ist, hat hier eine Welle der Vorverurteilung ohne
Sachkenntnis stattgefunden, über die man sich nur
empören kann.
Von „mutmaßlich“ keine
Spur, nicht nur die Verwechslung zwischen angeordnet und
angefordert zeugte von wenig Kenntnis, nein, er hatte
den Angriff gar kommandiert. Von sonst üblicher
Zurückhaltung keine Rede. An seine Familie, an seine
Kinder in der Schule hat man nicht gedacht.
Daher kann man jedem nur
dankbar sein, der sich öffentlich so vor ihn gestellt
hat, wie der Generalinspekteur.
Während sich öffentlich
das Verteilen von Gummibärchen und das Brunnenbohren gut
machen, der Checkpoint gerade noch akzeptiert wird, ist
der Kampf doch im öffentlichen Bild sehr störend.
Und genau da hatten wir
Soldaten lange ein Problem, das darin bestand, dass der
Soldat einerseits lagegerechte, um nicht zu sagen
kriegsnahe Eingreifbefugnisse brauchte, aber die
Juristen, auch im eigenen Hause, im BMVg, lange Zeit
glaubten, dass deutsches Polizeirecht oder eine
Anlehnung an das unaussprechbare UZwGBw im Ausland
ausreichen würden. Zum Thema Taschenkarte wurde lange
diskutiert, bis endlich nach Jahren jetzt ein Ruck
spürbar wurde.
Inlandsrecht gegen
Erfordernisse des Auslandseinsatzes – eine
Herausforderung, die man jetzt offenbar verstanden hat.
Die Mitnahme der Menschen
scheint mir daher die große Herausforderung zu sein.
Das gilt auch für die
Menschen in den Einsatzländern.
Dort muss es mit Blick
und Rücksicht auf Kulturen und ethnische Besonderheiten
rasch zu Verbesserungen kommen, damit es den Menschen,
dank unseres Eingreifens schnell besser geht als vorher.
Da haben wir schon in Bosnien und erst recht im Kosovo
nicht viel erreicht, dagegen in Afghanistan zwar auch
wenig, aber wohl durchaus mehr, als uns öffentlich
zugestanden wird.
Genau die Verbesserung
der Lebensverhältnisse ist aber die kritische Größe in
unserer Strategie und im NATO-Sprachgebrauch das Center
of Gravity, d.h. der empfindliche Punkt von dem der
Erfolg oder der Misserfolg abhängen.
Auch Prüfpunkte oder
neuhochdeutsch Benchmarks müssen für die gesetzt werden,
die von unserem Einsatz profitieren, in dem sie die
Macht übernommen haben, die wir stabilisieren sollen.
Der Minister hat dies im Falle Karsai mit Recht
gefordert. Im Kosovo ist das nicht geglückt.
Barack Obama hat in der
großen Politik viele weitere Stellgrößen genannt, an
denen die USA in naher Zukunft arbeiten werden:
Atomwaffen, Verzicht auf das Raketenprogramm in
Osteuropa, Iran, der Nahe Osten und Afghanistan.
Zu Afghanistan werden wir
in diesem Kongress etwas hören aus militärischer Sicht.
Obama hat auch gesagt,
dass er der erste pazifische Präsident sei. Durch eine
politische Schwerpunktverlagerung in den pazifischen
Raum könnten neue Herausforderungen auf uns zukommen.
Sein Besuch in China, ungewöhnlich schnell nach
Amtseintritt, ist ein Signal.
Fazit ist, nachdem uns
der Feind an der Grenze mit Panzern, Flugzeugen und
Stiefeln am Boden und das Gefühl der Bedrohung abhanden
gekommen sind, tun wir uns als Gesellschaft mit der
Sicherheitspolitik schwer.
Sicherheitspolitik und
Strategie aber sind nicht erst seit heute viel mehr als
der Gebrauch von Streitkräften zum politischen Zweck.
Aus dem Nebeneinander
vieler politischer Felder und dem multinationalen
Ineinandergreifen von militärischen und zivilen
Strukturen, ergeben sich Herausforderungen, die vor
allem politisch umgesetzt werden müssen. Denn letztlich
ist auch der Einsatz von Streitkräften eine politische
Entscheidung.
Wir als Gesellschaft für
Wehr- und Sicherheitspolitik sehen das fehlende
Interesse der Öffentlichkeit, an den Teilnehmern in den
Veranstaltungen der Sektionen.
Ihnen, dem VdRBw, wird es
ähnlich ergehen. Auch wir sollten vor Ort auf breiter
Front noch enger zusammenarbeiten und andere befreundete
Organisationen einbeziehen.
Mit diesen Kongressen
wollen wir durch Information und Diskussion zur
sachgerechten Meinungsbildung beitragen.
Auch sind wir dankbar,
dass der Kongress in diesem Jahr in der Öffentlichkeit
besser wahrgenommen wurde, als in den Jahren davor.
Jetzt aber genug der
Herausforderungen und hin zum diesjährigen Kongress.
Ich freue mich, dass wir
vier hervorragende Persönlichkeiten für Vorträge
gewinnen konnten.
Der heutige Abend gehört
unserem Generalinspekteur, ich bitte Sie zu uns zu
sprechen.
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