Nachschau - 16. Internationaler Sicherheitspolitischer Kongress  in Karlsruhe

Verband der Reservisten

der Deutschen Bundeswehr e.V.

Landesgruppe Baden-Württemberg

Gesellschaft für Wehr- und

Sicherheitspolitik

Landesbereich Baden-Württemberg

16. Internationaler

Sicherheitspolitischer Kongress

20. / 21. November 2009 in Karlsruhe

Politische Entscheidungen 2009

- neue Herausforderungen -

 

Einführung

Einführung

in den

16. Internationalen Sicherheitspolitischen Kongress

Von Brigadegeneral a.D. Wolfgang Kopp

Landesvorsitzender der GfW in Baden-Württemberg

Es gilt das gesprochene Wort!

Auch seitens der GfW darf ich Sie alle sehr herzlich begrüßen und für Ihr Interesse danken.

Die politischen Entscheidungen des Jahres 2009 sind gefallen, wir alle kennen sie.

Die Herausforderungen sind enorm.

Ich beschränke mich aber mit Blick auf den Kongress auf die Sicherheitspolitik.

Die von uns in vergangenen Kongressen herausgearbeiteten Herausforderungen bestehen noch immer. Die Frage stellt sich, ob sie durch die in 2009 erfolgten Veränderungen anders angegangen werden.

Ich erinnere an die Themen

innere Sicherheit

vernetzte Sicherheit

und Auslandseinsätze in Verbindung mit der Transformation der Bundeswehr 

In der Inneren Sicherheit oder, wie sie auch genannt wird, beim Schutz Deutschlands und seiner Bürger, wurde zwar im Hintergrund manches auf den Weg gebracht, vor allem auch in der Bundeswehr selbst, aber eine breite Diskussion möglicher Probleme oder Gefahren fehlt noch immer.

Jeder Experte weiß um die Bedrohung, der einfache Bürger ahnt sie, aber von Vorsorge hören wir so gut wie nichts. Die Öffentlichkeit wird im Unklaren gelassen, wohl auch deshalb, weil es um die Vorsorge nicht allzu gut bestellt ist.

Dies gilt für wenig eingeübte Verfahren der Zusammenarbeit ebenso, wie für fehlende Kräfte.

Und das sage ich nicht mit Blick auf die ZMZ - Anstrengungen der Bundeswehr, sondern mit Blick auf die Zuständigkeit der Länder.

Nach dem Abbau in den 90er Jahren müsste viel Geld für ausreichende Vorsorge aufgewendet werden, um wieder auf Stand zu kommen. Wir stoßen auf breites politisches Schweigen bei diesem innenpolitischen Thema und müssen befürchten, dass es um diese Vorsorge ähnlich bestellt ist, wie um die Vorsorge bei der jüngsten Impfaktion.

Auch das ist aber Sicherheitspolitik. Auch das ist eine permanente Herausforderung.

Vom offenen Feld des Einsatzes der Bundeswehr über Art. 35 GG hinaus, etwa zum Objektschutz an für die Bevölkerung lebenswichtigen Objekten (Wasserwerke, Energie usw.) will ich erst gar nicht reden. Aber auch darüber sollte man vorsorglich nachdenken.

Vernetzte Sicherheit ist ein weiteres Feld der Herausforderungen.

Vernetzte Sicherheit ist aber eine Wortschöpfung, die sich keinesfalls selbst erklärt, aber auch nicht erklärt wird – begrifflicher Nebel!

Es ist einmal die Vernetzung von Innerer und Äußerer Sicherheit, die nach politischer Bekundung nicht mehr getrennt werden können.

Gemeint ist aber vor allem die strategische Bündelung der Maßnahmen zuständiger Bundesministerien in den Einsatzländern. Hier steht Afghanistan im Mittelpunkt des Interesses. AA, BMVg, BMI und BMZ haben sich auf ein gemeinsames Vorgehen verständigt.

Aber man gewinnt den Eindruck, dass selbst die beteiligten Ministerien nicht alles verstanden haben, wenn man die Ergebnisse und die Zusammenarbeit am Boden vor Ort betrachtet.

Und man konnte sich des Eindrucks ideologischer Vorbehalte in einzelnen Häusern gegen die Zusammenarbeit mit der Bundeswehr nicht erwehren. Dieser Vorbehalt trifft im Übrigen auf sehr viele NRO auch zu.

Diese Reibungen oben, wirken sich aber auch vor Ort aus. Das wissen die im Einsatzland Tätigen am besten.

Wir werden sehen, wie die neuen Mannschaften im AA und im BMZ mit den Herausforderungen der Strategie der Vernetzten Sicherheit zukünftig umgehen und diese richtige Strategie vor Ort zum Erfolg führen.

Und damit sind wir bei den laufenden Einsätzen.

In engem Zusammenhang mit Einsätzen, aber auch mit dem Aufgabenfeld des Schutzes Deutschlands und seiner Bürger, stehen neue Überlegungen zur Struktur. Eine Wehrstrukturkommission hat die Arbeit aufgenommen.

Damit geht die Spirale der Transformation der Bundeswehr in eine neue Umdrehung, an deren Ende möglicherweise weniger hohe Stäbe und mehr Truppe, vielleicht sogar mehr Kampftruppe stehen? Offenbar gibt es strukturelle Herausforderungen.

Aber nicht nur die fortlaufende organisatorische Anpassung der Streitkräfte ist erforderlich, mehr noch bedarf es der Aufmerksamkeit auf die intellektuelle oder besser geistige Einstellung der Soldaten, eine Art geistige Rüstung.

Dies gilt aber noch mehr und ganz besonders für das Umfeld unserer Soldaten und damit auch für den Rest unserer Gesellschaft.

Afghanistan, das Horn von Afrika, ja sogar das Kosovo oder auch Bosnien sind weit weg. Das Interesse an der Sicherheitspolitik oder an Fragen, geschweige denn an Problemen der Armee ist relativ gering. Es flackert nur auf, wenn spektakuläre Ereignisse stattfinden, wie zuletzt der Luftangriff auf die Tanklastzüge in Afghanistan.

Die Streitkräfte, die Soldaten und Reservisten haben sich auf die neuen Herausforderungen und das neue Aufgabenspektrum, wie ich meine gut eingestellt,  weg von den Panzerschlachten der Vorneverteidigung, hin zum neuen breiten Aufgabenspektrum heutiger Konflikte (3-block-war), in dem humanitäre Maßnahmen, der Wiederaufbau, aber auch der Kampf parallel und räumlich eng nebeneinander stattfinden können.

Im Umfeld der Soldaten sind es die Familien, die mitgenommen werden wollen. Auch sie haben sich entwickelt, weg von gelegentlichen größeren Übungen im Inland, hin zu längeren Abwesenheiten der Frauen und Männer in Uniform im Ausland.

Wobei die große Zahl der Trennungen nicht unerwähnt bleiben darf.

Ein Ergebnis dieses Nicht-Mitnehmens ist auch, dass zurückkehrende Soldaten oder deren Familien ein wenig interessiertes Umfeld haben, in dem sie ihre Probleme los werden und Verständnis finden. Sie werden nicht aufgefangen.

Post-Traumata können nicht mehr so, wie in der Vergangenheit im Umfeld abgebaut werden, weil die Bindung und das Verständnis in der Basis Heimat fehlen, und diese Heimat keine Heimat mehr in diesem Sinne ist, ja gar nicht sein kann. Anders gesagt, das „Wir-Gefühl“ fehlt – vielleicht generell in der Gesellschaft, aber sicher hier besonders deutlich.

Die Bundeswehr tut alles in ihrer Macht stehende mit psychiatrischer Betreuung, aber was kommt danach?

Trotz allen Bemühungen ist die Familienbetreuung noch immer eine Großbaustelle, deren Sanierung dringend vorangetrieben werden muss.

Die Streitkräfte stellen sich den Herausforderungen durch hochwertige und fordernde Ausbildung. Die Soldaten stellen sich diesen Forderungen ernsthafter als früher, stellen aber mit Erstaunen fest, dass ihr Umfeld dieser Umstellung noch gar nicht so richtig gefolgt ist und häufig das Verständnis fehlt.

Das große Problem, die gesellschaftliche Herausforderung ist, dass die Bindung zwischen den Soldaten und ihren Angehörigen mit dem Rest der Gesellschaft anscheinend verloren ging.

Armee im Einsatz – Gesellschaft im Frieden, ein Missverhältnis? so das Thema unseres Kongresses vor 2 Jahren, ja, ich glaube noch immer!

Für die Gesellschaft ist es das geistige Band, das breite Verständnis, das für sicherheitspolitische Fragen, für das, was weit weg, neuhochdeutsch gesagt „abgeht“, fehlt.

Aber das Verständnis wird auch nicht geweckt. Die Führung von oben, der Eintritt in die breite gesellschaftliche Diskussion findet nicht statt. Die Politik nimmt die Gesellschaft in sicherheitspolitischen Fragen nicht mit, im Gegenteil.

Waren früher, in den Kriegen des letzten Jahrhunderts, Gesellschaft und Soldaten eine fast untrennbare Schicksalsgemeinschaft und galt dies, wenn auch schon in abgeschwächter Form, für die 35 Jahre der Bundeswehr im Kalten Krieg, die große Wehrpflichtarmee der Vorneverteidigung, so ist heute eine Entfremdung, vielleicht sogar ein Auseinanderklaffen eingetreten.

Das durch die Reorganisation zwangsläufige Verschwinden der Armee aus der Fläche und die geringe Zahl eingezogener Wehrpflichtiger trägen dazu bei.

Hinzu kommt, dass Themen nicht oder nicht mehr angesprochen werden.

Kosovo und Bosnien-Herzegowina wurden von der öffentlichen Bildfläche genommen und werden unter einem Deckel gehalten, der den Eindruck vermittelt, dass die Probleme dort gelöst wären, obwohl die Lage dort alles andere als geklärt ist. Das gilt besonders für das Kosovo. Dort regiert die Organisierte Kriminalität im Seidenanzug und mit randloser Brille.

Die Gesellschaft kann und will aber mitgenommen werden. Wie ansprechbar sie auf das „Wir-Gefühl“ ist, zeigt der traurige Tod von Robert Enke.

Der Bedarf zeigt sich auch in den Diskussionen und Internetforen über die in Medien abgebildeten Ereignisse, wie gerade über den Luftangriff. Aber man zieht oben keine Folgerungen, geht nicht in die Offensive und überlässt die Sicherheitspolitik viel zu sehr anderen, häufig genug Ideologen und Demagogen.

Die geistige Mitnahme von Menschen als selbständig denkende Staatsbürger nennt sich in der Bundeswehr „Innere Führung“. Eines ihrer Markenzeichen.

Es wäre an der Zeit ein Konzept der „Inneren Führung“ auch für die Gesellschaft zu entwickeln und die mündigen Staatsbürger durch Information und Diskussion zu selbständigem Mitdenken zu befähigen.

Führung von vorn ist angesagt. Das bloße „wir alle stehen hinter ihnen“ reicht nicht aus und hilft nicht weiter, sich davor zu stellen wäre viel wichtiger.

Wohlverstanden, nicht Propaganda, sondern eine unserer Demokratie angemessene Diskussion und Information in der Öffentlichkeit sollte es sein.

Wie nötig das ist, zeigt der Eiertanz um die Frage, ob das, was in Afghanistan stattfindet, nun Krieg ist, oder nicht, oder wie oder was.

Der damalige Minister sprach in der Öffentlichkeit davon, dass dies ein Stabilisierungseinsatz sei. Das war zwar sachlich richtig, aber keiner hat genau verstanden, was er damit meinte.

Vielleicht hätte man in der Öffentlichkeit schon vorher häufiger darüber reden müssen, dass Stabilisierungskräfte, wie die 10. Panzerdivision, ein breites Spektrum von Aufgaben haben, das bei humanitärer Hilfe anfängt, über Trennung von Konfliktparteien und das in der Ausbildung auch bei Reservisten so beliebte Thema „Checkpoint“ weitergeht, aber – und das wird besonders gerne übersehen – beim Kampf endet, also dass der Kampf Bestandteil des Stabilisierungseinsatzes ist. Das ist das vorgegebene Konzept.

Diese Kenntnisse hat Herr Jung vorausgesetzt, als er vom Stabilisierungseinsatz sprach. Aber, da er die Öffentlichkeit vorher nicht mitgenommen hatte, hat er sie mit seiner Aussage auch nicht erreicht. Und er hat auch seinen Soldaten damit nicht geholfen.

Denn genau der Kampf in Afghanistan ist für den Soldaten nach seinem Verständnis „Krieg“, und diesem gefühlten Krieg muss in der Heimat im Sinne der Soldaten Rechnung getragen werden.

Der Soldat muss das Gefühl haben, dass man ihn und seinen schwierigen Auftrag versteht und ihm nicht das Gefühl vermittelt, dass sein Kampf und sein Krieg gar nicht verstanden und eigentlich gar nicht gewollt sind. Damit wertet man seinen Einsatz, sein Engagement und die Bereitschaft, sein Leben zu riskieren, ab.

Auch der Umgang mit dem Oberst Klein zeigt dies. Während die Medien bei jedem Kleinkriminellen die Bezeichnung „mutmaßlich“ korrekt zur Anwendung bringen, auch wenn der Einzelfall noch so klar ist, hat hier eine Welle der Vorverurteilung ohne Sachkenntnis stattgefunden, über die man sich nur empören kann.

Von „mutmaßlich“ keine Spur, nicht nur die Verwechslung zwischen angeordnet und angefordert zeugte von wenig Kenntnis, nein, er hatte den Angriff gar kommandiert. Von sonst üblicher Zurückhaltung keine Rede. An seine Familie, an seine Kinder in der Schule hat man nicht gedacht.

Daher kann man jedem nur dankbar sein, der sich öffentlich so vor ihn gestellt hat, wie der Generalinspekteur.

Während sich öffentlich das Verteilen von Gummibärchen und das Brunnenbohren gut machen, der Checkpoint gerade noch akzeptiert wird, ist der Kampf doch im öffentlichen Bild sehr störend.

Und genau da hatten wir Soldaten lange ein Problem, das darin bestand, dass der Soldat einerseits lagegerechte, um nicht zu sagen kriegsnahe Eingreifbefugnisse brauchte, aber die Juristen, auch im eigenen Hause, im BMVg, lange Zeit glaubten, dass deutsches Polizeirecht oder eine Anlehnung an das unaussprechbare UZwGBw im Ausland ausreichen würden. Zum Thema Taschenkarte wurde lange diskutiert, bis endlich nach Jahren jetzt ein Ruck spürbar wurde.

Inlandsrecht gegen Erfordernisse des Auslandseinsatzes – eine Herausforderung, die man jetzt offenbar verstanden hat.

Die Mitnahme der Menschen scheint mir daher die große Herausforderung zu sein.

Das gilt auch für die Menschen in den Einsatzländern.

Dort muss es mit Blick und Rücksicht auf Kulturen und ethnische Besonderheiten rasch zu Verbesserungen kommen, damit es den Menschen, dank unseres Eingreifens schnell besser geht als vorher. Da haben wir schon in Bosnien und erst recht im Kosovo nicht viel erreicht, dagegen in Afghanistan zwar auch wenig, aber wohl durchaus mehr, als uns öffentlich zugestanden wird.

Genau die Verbesserung der Lebensverhältnisse ist aber die kritische Größe in unserer Strategie und im NATO-Sprachgebrauch das Center of Gravity, d.h. der empfindliche Punkt von dem der Erfolg oder der Misserfolg abhängen.

Auch Prüfpunkte oder neuhochdeutsch Benchmarks müssen für die gesetzt werden, die von unserem Einsatz profitieren, in dem sie die Macht übernommen haben, die wir stabilisieren sollen. Der Minister hat dies im Falle Karsai mit Recht gefordert. Im Kosovo ist das nicht geglückt.

Barack Obama hat in der großen Politik viele weitere Stellgrößen genannt, an denen die USA in naher Zukunft arbeiten werden: Atomwaffen, Verzicht auf das Raketenprogramm in Osteuropa, Iran, der Nahe Osten und Afghanistan.

Zu Afghanistan werden wir in diesem Kongress etwas hören aus militärischer Sicht.

Obama hat auch gesagt, dass er der erste pazifische Präsident sei. Durch eine politische Schwerpunktverlagerung in den pazifischen Raum könnten neue Herausforderungen auf uns zukommen. Sein Besuch in China, ungewöhnlich schnell nach Amtseintritt, ist ein Signal.

Fazit ist, nachdem uns der Feind an der Grenze mit Panzern, Flugzeugen und Stiefeln am Boden und das Gefühl der Bedrohung abhanden gekommen sind, tun wir uns als Gesellschaft mit der Sicherheitspolitik schwer.

Sicherheitspolitik und Strategie aber sind nicht erst seit heute viel mehr als der Gebrauch von Streitkräften zum politischen Zweck.

Aus dem Nebeneinander vieler politischer Felder und dem multinationalen Ineinandergreifen von militärischen und zivilen Strukturen, ergeben sich Herausforderungen, die vor allem politisch umgesetzt werden müssen. Denn letztlich ist auch der Einsatz von Streitkräften eine politische Entscheidung.

Wir als Gesellschaft für Wehr- und Sicherheitspolitik sehen das fehlende Interesse der Öffentlichkeit, an den Teilnehmern in den Veranstaltungen der Sektionen.

Ihnen, dem VdRBw, wird es ähnlich ergehen. Auch wir sollten vor Ort auf breiter Front noch enger zusammenarbeiten und andere befreundete Organisationen einbeziehen.

Mit diesen Kongressen wollen wir durch Information und Diskussion zur sachgerechten Meinungsbildung beitragen.

Auch sind wir dankbar, dass der Kongress in diesem Jahr in der Öffentlichkeit besser wahrgenommen wurde, als in den Jahren davor.

Jetzt aber genug der Herausforderungen und hin zum diesjährigen Kongress.

Ich freue mich, dass wir vier hervorragende Persönlichkeiten für Vorträge gewinnen konnten.

Der heutige Abend gehört unserem Generalinspekteur, ich bitte Sie zu uns zu sprechen.

 

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