Nachschau - Veranstaltung am 25.03.2010

 

 

 

Vortragsabend

mit anschließender Aussprache

zum Thema

 Was verteidigt die Bundeswehr am Hindukusch?

 Referent:

   Oberst a.D. Nikolaus Schmeja

Freier Referent, Tübingen

am Donnerstag, 25. März 2010, 19.00 Uhr

Offizierheimgesellschaft der Hermann–Köhl–Kaserne

Niederstetten

Oberst a.D. Nikolaus Schmeja, ehemaliger Kommandeur des früheren Verteidigungs-bezirkskommando 54 ist seit 1997 bei verschiedenen Institutionen als freier Referent sowie Berater bei Studien (u.a. Bundeszentrale Politische Bildung; Europahaus Bad Marienberg, Landeszentrale für Politische Bildung Baden-Württemberg, Europ. Akademie) tätig.

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Pressebericht

Vielschichtige Probleme am Hindukusch

Autor: OLIVER BAUER | 27.03.2010

Niederstetten.  Der am meisten diskutierte Bundeswehreinsatz stand in der Wintervortragsreihe des Transporthubschrauberregiments 30 im Zentrum. Oberst a.D, Nikolaus Schmeja analysierte die Situation in Afghanistan.

Seit der einstige Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) den Satz geprägt hat, "Die Sicherheit Deutschlands wird auch am Hindukusch verteidigt", stellt sich für viele die Frage, "Was verteidigt die Bundeswehr am Hindukusch." Dass die Antwort darauf bei weitem nicht so eindimensional ist, wie oft in Politik und öffentlicher Meinung kolportiert, das verdeutlichte Nikolaus Schmeja beim zweiten und letzten "Wintervortrag" des Transporthubschrauberregiments 30 in Niederstetten.

Referierte über ein vielschichtiges Thema: Oberst a.D. Nikolaus Schmeja (Mitte)

mit Oberst Werner Hellinger und Oberstleutnant a.D. Wolfgang Krayer. Foto: Bauer

Zur gemeinsamen Veranstaltung mit der Gesellschaft für Wehr- und Sicherheitspolitik stand mit dem Oberst a.D. und studiertem Germanisten, Historiker und Politikwissenschaftler ein ausgewiesener Experte auf dem Feld der Außen- und Sicherheitspolitik zur Verfügung, der zwar selbst nie in Afghanistan war, gleichwohl als einer der ersten Bundeswehrangehörigen mittelbar am Afghanistan-Einsatz beteiligt war. Nach dem 11. September 2001 (Angriff auf das World Trade Center) wurde Schmeja als Reservist fünf Monate zum deutschen Verbindungskommando beim US-Oberkommando einberufen.

Schmeja ordnete ein: Eurasien - mit Afghanistan mittendrin - zählt im beginnenden 21. Jahrhundert zu den Schlüsselregionen der Weltpolitik. Hier treffen sich die aufstrebenden Weltmächte Indien und China mit der alten Weltmacht Russland, der sich als Wirtschaftsraum formierenden Weltmacht Europa und der global agierenden Supermacht Amerika. Gemeinsame Interessen, aber auch Interessenkonflikte treffen sich in der Region. Geostrategisch spielte Afghanistan schon im 19. Jahrhundert eine wichtige Rolle: Die Briten drängten aus dem kolonisierten Indien nach Norden, gleichzeitig suchte das zaristische Russland den Weg zum indischen Ozean. Schmeja verglich die politische Gemengelage mit der in Europa an der Schwelle zum 20. Jahrhundert.

Afghanistan selbst war längst als Staat zerstört, als das Terrornetzwerk Al Qaida sich dort einnistete, stellte Schmeja klar. Eine eigene Identität als Nation gibt es nicht, verschiedene Volksgruppen leben nebeneinander, oft auch in erbitterter Feindschaft. Regionale Machthaber bekriegen sich als "Warlords" oder Drogenbarone untereinander. Auch die islamische Religion stiftet keine gemeinsame Identität.

Schmeja: "Afghanistan wurde von 1979 bis 1989 systematisch zerstört - größtenteils nach dem Abzug der Sowjetunion aufgrund der Rivalitäten der Warlords (Kriegerfürsten)." Viele Gräueltaten sind überliefert. Deren bewaffnete Soldateska werde oft fälschlicherweise mit den gefürchteten Taliban gleichgesetzt. Andere dieser Warlords hätten sich mit der derzeitigen Situation arrangiert, seien aber auch bereit, gegen bessere Bezahlung die Seiten zu wechseln. "Dies sind die Leute, mit denen wir nach Meinung von Bischöfin Käßmann Verhandlungen führen sollen." Schmeja erklärte weiter: Die Taliban, die ihre schützende Hand über das Terrornetzwerk Al Qaida und dessen Chef Osama bin Laden gehalten hatten, seien keine militärische Macht im Sinne einer Armee, sondern auf Hinterhalte und Überfälle spezialisierte Kriegerhaufen. Kaum mehr als 20 000 Personen. Aber: Ausbildung und militärische Kenntnisse seien in den vergangenen Jahren besser geworden. der Nachschub mit Waffen chinesischer Herkunft funktioniere einwandfrei.

Dass Problem des internationalen Terrorismus hält Schmeja nur im Kontext mit dem benachbarten Pakistan für lösbar, da die Al-Qaida-Terroristen je nach Verfolgungsdruck auch ins Nachbarland ausweichen und dort Stützpunkte unterhalten. Der Wiederaufbau Afghanistans als Teil des internationalen Einsatzes werde noch lange in Anspruch nehmen. Mit der jüngst stattgefundenen Londoner Konferenz wurde zwar ein Zeitplan aufgestellt, der afghanischen Regierung die militärische und polizeiliche Autorität zu übergeben, aber beim Aufbau der Polizei sieht Schmeja Schwierigkeiten: Knapp 130 000 Polizisten sollen in einem Land mit 30 Millionen Einwohnern für Ordnung sorgen. Und: Ob ihrer schlechten Bezahlung seien die Polizisten selbst für Verbrechen und Korruption anfällig.

Die Frage, was die Bundeswehr am Hindukusch verteidigt, beantwortete Schmeja mit einem "Worst-Case"-Szenario. Würde Afghanistan sich selbst überlassen, könnte sich das Terrornetzwerk Al Qaida sofort wieder im Land ausbreiten. Gleichzeitig würde ein Bürgerkrieg unter den Warlords ausbrechen und sich dem internationalen Dorgenhandel eine perfekte Basis bieten. Trotz internationaler Präsenz kommen immer noch 80 Prozent der weltweiten Heroin-Produktion aus Afghanistan. Nur langsam lasse sich das zurückdrängen, so Schmeja. Bei einem Rückzug zur jetzigen Zeit könnte Afghanistan zu einem Krebsgeschwür für den gesamten, ohnehin nicht überaus stabilen mittleren Osten werden.

Seinem informativen Vortrag ließ Schmeja auch seine Sicht zur sogenannten Kundus-Affäre folgen: Es werde sich wohl nie klären lassen, ob und wie viele zivile Opfer der Angriff auf die beiden Tanklastzüge gekostet habe. Tatsache sei, dass die Bevölkerung des Dorfes, die Kraftstoff aus den stecken gebliebenen Tankern gezapft hat, als Talibannahe gelte. Differenziert worden sei bei den Opfern nach dem Motto: Bewaffnet gleich Taliban, unbewaffnet gleich Zivilist. Schmeja hält das nicht für wasserdichte Ermittlungen. Ein anderes Problem: Die Wahrnehmung der Bundeswehr in der deutschen Öffentlichkeit als quasi pazifistische Armee...

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