Nachschau - Veranstaltung vom 18.06.2009

Unter Taliban, Warlords und Drogenbaronen - eine deutsche Familie kämpft für Afghanistan

Hardheim - Afghanistanexperte Dr. Reinhard Erös, Oberstarzt der Bundeswehr a.D., berichtete in einem fesselnden Vortrag unter dem Titel „Unter Taliban, Warlords und Drogenbaronen – eine deutsche Familie kämpft für Afghanistan” über die aktuelle Situation im Land am Hindukush. Mit dieser Veranstaltung, zu der Oberstleutnant Stocks, Kommandeur des Panzerflugabwehrkanonenbataillons 12 aus Hardheim und Standortältester, sowie der Sektionsleiter Taubertal OTL a.D. Wolfgang Krayer von der Gesellschaft für Wehr- und Sicherheitspolitik geladen hatten, sollte vor allem den Einsatzsoldaten aus Hardheim, die in den nächsten Wochen ihren viermonatigen Auslandseinsatz in Afghanistan antreten, aber auch zahlreichen zivilen Gästen sowie dem Führungspersonal des Standortes die Möglichkeit gegeben werden, sich über die landestypischen Besonderheiten und örtlichen Begebenheiten zu informieren.

Dr. Erös lebte von 1987 bis Ende 1990 mit seiner Familie in Afghanistan und engagiert sich seit dieser Zeit sowohl als Mediziner, als auch mit verschieden Projekten im Rahmen der „Kinderhilfe Afghanistan” stark für die von Krisen und Kriegen zerrissene Region. So konnte er bei seinem über zweistündigen Vortrag aus einem breiten Fundus persönlicher Erfahrungen und Erlebnisse schöpfen, die er mit einer Vielzahl von interessanten und bewegenden Bildern, Statistiken und Zitaten untermalte. Seinen Zuhörern gab Dr. Erös dabei sowohl Einblicke in die tägliche Lebenssituation vieler afghanischer Familien, die meist in ärmlichsten Verhältnissen ums tägliche Überleben kämpfen, als auch in die politischen Verhältnisse, den Einfluss verschiedenster regionaler Stammesführer und die Rolle des Drogenanbaus.

Dr. Erös bei seinem Vortrag

So stellte Dr. Erös während seines Vortrages zum Einen klar heraus, dass bei einer ganzheitlichen Betrachtung Afghanistans auch immer der starke Zusammenhang zu Pakistan als wichtigsten Nachbar mit einbezogen werden muss. Beispielsweise entfalteten sich die Taliban geografisch und politisch in Pakistan bzw. der Grenzregion und konnten nach dem Abzug der Sowjet-Truppen im Jahr 1989 die Macht in Afghanistan übernehmen. Jedoch kann man den Begriff „Taliban” nicht als Synonym für „Terroristen” verwenden, so Erös. Vielmehr ist dies lediglich die Bezeichnung für Studenten und Absolventen einer Koran-Schule, die lediglich die religiöse und moralische Ausbildung, keinesfalls aber militärische Fertigkeiten zum Ziel hat und nicht mit den „Trainingscamps” verschiedener Terrororganisationen gleichzusetzen ist.

Des Weiteren spielt der Islam eine wesentliche Rolle in Afghanistan. Da die afghanische Bevölkerung aus mehr als 20 verschiedenen Volksgruppen und damit verbunden auch Sprachen besteht ist der Islam die einzige, aber dennoch mächtige Verbindung aller Afghanen. Der in Afghanistan vorherrschende „klassische Islamismus” zeichne sich dabei durch eine hohe Toleranz gegenüber anderen Religionen und Kulturen aus. Zudem hat der Begriff der „Gastfreundlichkeit” einen besonders hohen Stellenwert und gilt als ungeschriebenes Gesetzt zu dem alle verpflichtet sind. Er stellte klar. dass kein Afghane international oder national wegen islamischem Terrorismus gesucht wird, aber Afghanistan das einzige Land ist, in dem der „Krieg gegen den Terror” geführt wird.

Die Vielzahl der Volksstämme führte Dr. Erös als einen der Gründe an, warum eine Zentralregierung in der Hauptstadt Kabul nicht funktionieren kann. Die starke Verbundenheit zum jeweiligen Volksstamm und dessen Stammesführer, der die lokale Autorität darstellt, macht es den Politikern in Kabul, aber auch den westlichen Soldaten, nahezu unmöglich, Afghanistan zu kontrollieren. Auch der Abstand der meisten Politiker zur eigenen Bevölkerung sei enorm. Dr. Erös machte deutlich, dass während der einfache Bauer mit einem Gehalt von 1 Dollar pro Tag auskommen muss, es der Politiker innerhalb von zwei Jahren zum Millionär bringen kann.

In Verbindung mit dem Einkommen der normalen Bevölkerung kam Erös auch auf die Thematik des Opiumanbaus zu sprechen. Für ihn nimmt dieser Anbau von Schlafmohn die Schlüsselrolle in der Problembewältigung ein. Die Produktion sei seit 2007 auf einem konstant hohen Niveau von ca. 8000 Tonnen pro Jahr. Der Großteil der Ernte werde dabei für die Produktion von Heroin verwendet und finanziert somit in bedeutendem Maße den internationalen Terrorismus. Jedoch sei Opium ebenfalls für die Produktion verschiedener Medikamente notwendig. Das Ziel der internationalen Politik sollte es sein, so Erös, das hohe Vorkommen an Opium zu nutzen, um eine gewinnbringende Pharmaindustrie in Afghanistan zu etablieren und somit einem Großteil der Bevölkerung ein regelmäßiges Einkommen zu ermöglichen. Zudem könnte somit die Heroinproduktion relativ einfach eingedämmt werden.

Kommandeur PzFlakBtl 12 OTL Markus Stocks,

Referent OTA a.D. Dr. Reinhard Erös und   

Sektionsleiter OTL a.D. Wolfgang Krayer (v.l.n.r.)

In Bezug auf den Einsatz der Bundeswehr stellte Dr. Erös klar heraus, dass es dringend erforderlich sei, die Fähigkeit der „Interkulturellen Kompetenz” wesentlich stärker in die Ausbildung der Soldaten einfließen zu lassen. Man dürfe nicht die Probleme aus eigener Sicht, sondern lediglich aus Sicht der Afghanen betrachten, um sie nachhaltig zu lösen. Des weiteren sei die Ausbildung in den landestypischen Sprachen erforderlich, um das Vertrauen der Bevölkerung zu gewinnen und eine Verbindung herzustellen. Denn nur so könne man der zunehmenden Unterstützung militanter Gruppen wirkungsvoll entgegentreten.

Dr. Erös beendete seinen fesselnden Einblick in die afghanische Kultur mit seinem Leitspruch:

„Lass es die Afghanen lieber nicht so perfekt aber selbst machen, als es selbst perfekt zu machen, denn es ist IHR Land.”

OLt Heil

 

Oben                                                                                                                                                                        Zurück
Unsere Partner: